Zero

Zero.

Alles kann man nicht auf Null stellen. Niemehr kann man von Null ausgehen. Ich möchte von Null ausgehen. So wie ich meinen 1200 M in der Garage Zentrum-Nord abgestellt habe und als Schiffspassagier beginne. Aber man müßte als blinder Passagier beginnen. Oder, noch besser, als Flußpirat. Zillenfahrer, stromauf kämpfend. Behaarter Schwimmer, einem Affen davonschwimmend, aber einen schönen rot-blau-gesprenkelten Stein für die Höhlengattin im Schnappsack.

Ich habe meinen Wagen weggestellt, weil Druden nur aus hundert Häusern besteht, in denen drei Tage fachgesimpelt wird, gefressen und gesoffen und von denen auf Nachbarhügel gestiegen wird, damit der Exporteurbauch in Grenzen bleibe. Ich habe keinen Exporteurbauch, sondern bin ein stattlicher Mann, 40 Jahre, 1.78 groß, gut gebräunt, volles schwarzbraunes Haar, genaues nachgetöntes Bärtchen, männlich eau-decologniert (aber wenig, damit ich die Frauenparfums besser spüre), Filterraucher (in der Jugend exzedierte ich mit Chesterfields), Katzen-Liebhaber:

was bin ich sonst noch? Ganz flott bei Kasse, redlich im Geschäft, gewinnend im Umgang, tüchtig in Sprachen, zögernd im Rechnen; träumend im Wachen und dabei abermals gewinnend; Junggeselle, fremder Pyjamas kundig, doch keine machte mir verständlich, was mir die Landschaft in noch verträumteren Jahren eigentlich versprochen hatte; weiter: lyrisch im Gefühl, auch für schönverpackte Chemikalienpröbchen, für Messeplakate, Stahlmöbel, froschgrüne Saugzuganlagen, aber ohne Vertrauen zu Schriftstellern, daß sie den lyrischen Rohstoff auch richtig verwerten; und rationelle Fertigung ist mir als Ökonomen Grundprinzip.

Meine Sekretärin wird Chwala urgieren und Anni mit den fälligen Prolongationsakzepten zur Bank schicken. Vertreterbesuch Ölwein erst, wenn ich wieder im Büro bin, Christa überdenkt nicht vif genug die Lieferkonditionen. Eine Wohltat, daß kein Telephon an Bord ist; aber vielleicht versucht Schmidt mich per Schiffsfunk zu erreichen: »Soll ich die grünen oder blauen Reiter nehmen?«. SOS, spreizt die Antenne in die Luft, SOS, ich bin 40 Jahre, das war die schönere Hälfte eines langen Lebens; die häßlichere, mit immer höherer Tourenzahl, liegt vor mir; 40; mit 13 tat ich was das erste Mal, sind 27 Jahre; plus 40 sind 67, da tut sich was vielleicht zum letzten Mal. Also mitten drin in jeder Karriere.

Aber es wäre irrig zu glauben, daß J. in der Abfahrtsekunde traurig war. Rings, im platschenden Wasser, den wackelnden Ufern, den langsam Teilkreise beschreibenden Uferhäusern, dem fahlblauen Wasserdunsthimmel, dem Öhr im Horizont hinten, wo die Donau in andere Länder floß, und der Unschärfe vorn, die wieder zu weiter Landschaft auskeilen würde, lagen die Möglichkeiten der Welt, ein unendlich kleiner, aber immer noch unendlicher Bruchteil der Welt, denn Unendlich durch Unendlich kann lt. Mathematik für die Mittelstufe immer noch unendlich sein.

Ich bin frei. Ich bin zu vielem noch fähig:

Nein. Aber es ist genug, wenn ich

Das Schiff hat sich eingeschlingert und rauscht nun gradaus durchs nasse Wasser; ich muß mich an sein langsames Vorwärtskommen erst gewöhnen.

Ich, Chemiekaufmann J., beende meine Gedanken zur Lage, nein ich bin wirklich nicht zynisch, ich tauche mit besten Vorsätzen und elementar wie einer dieser zahllosen kühlen sparfarbigen Schattenfische ringsum in die bessere Welt, die Welt der außerichlichen Erscheinungen. Ein Trost, daß ich außerhalb meiner auch zu dieser ungebrochenen Welt gezählt werde. Schon von der dicken Gemüsehändlerin neben mir, die sich soeben den heroischen Büstenhalter nachstrafft: er ist schwarz (er dampft schon frühmorgens) und hat rote Blüten und grüne Blätter. Von solch weichem Trampolin hinein ins Wasser, meine Optik, und hinüber ans Ufer.